Religionsgemeinschaft des Islam
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Aus: Frankfurter Rundschau online: 19.08.2004

Islam und Islamismus

Bin Laden bedroht die muslimische Welt stärker als den Westen

Gottes Gesetz und die Hoffnung auf Demokratie: Khaled Abou El Fadl verteidigt die Prinzipien des islamischen Rechts gegen den Fundamentalismus

 

Der Autor: Abou El Fadl (privat)

 

Glauben Sie, dass sich der Westen mit dem Islam im Krieg befindet?

Khaled Abou El Fadl: Nein, der Islam und der Westen steuern nicht auf eine Konfrontation zu. Gegenwärtig ist aber vor allem in den Vereinigten Staaten eine Denkschule verbreitet, die auf Samuel Huntington zurückgeht und die Neokonservativen beeinflusst. Sie glauben, dass sie, indem sie liberale Werte in islamischen Ländern verbreiten, den islamischen Faktor marginalisieren und die islamische Bedrohung für die westliche Zivilisation beseitigen können.

Bedroht der Islam tatsächlich die westliche Zivilisation?

Nein. In meinen Augen ist die islamische Zivilisation auch ein Teil der westlichen Zivilisation. Der Islam hat in vielerlei Hinsicht zur Entstehung der christlich-jüdischen Zivilisation in Europa beigetragen, seine Ideen haben auch die Reformation und die Aufklärung beeinflusst. Wenn die Neokonservativen den Islam als Teil des christlich-jüdischen Erbes betrachteten, wäre ihre Einstellung gegenüber der muslimischen Welt eine ganz andere. Sie würden einsehen, dass Osama bin Laden die muslimische Welt stärker bedroht als den Westen.

 

 

Beide Rechtssysteme

 

 

Der ägyptische Jurist Abou El Fadl lehrt Recht an der UCLA School of Law in Kalifornien. Seit 1993 ist er Mitglied der US-Kommission für Internationale Religiöse Freiheit sowie Vorstandsmitglied von Human Rights Watch. In den USA als Anwalt zugelassen, hat er außerdem islamisches Recht studiert ; er gilt als einer der innovativsten Denker zum Thema "Islam und Demokratie". Sein letztes Buch heißt "Islam and the Challenge of Democracy" und ist im Mai 2004 erschienen. tt

 

 

 

 

Im Nahen Osten kommt es zu vielen Brutalitäten. Welche Rolle spielt die Religion?

Einige extremistische Gruppen, die säkulare Regierungen wie in Algerien, Ägypten, Syrien und sogar Saudi-Arabien bekämpfen, wollen die Massen im Namen des Islams in ihren Bann ziehen. Sie rebellieren gegen die säkularen Regierungen, weil diese es sind, die brutal vorgehen und gegen die Menschenrechte verstoßen. Für die Mehrheit der Muslime verkörpert der Islam aber Barmherzigkeit, daher verabscheuen sie brutale Gewalttaten. Den Extremisten fehlt es dadurch an der nötigen Unterstützung.

Kann Religion im Kampf um politische Freiheit zu einer positiven Kraft werden?

Nur, wenn eine intellektuelle Revolution stattfindet. Entscheidend ist dafür die Einsicht, dass die Menschen auf der Erde das göttliche Gesetz nicht verwirklichen können. Wenn die Muslime verstehen, dass niemand Gott repräsentieren kann, dass göttliche Gesetze keine Staatsgesetze sein können und sie nur versuchen können, Gottes Ideale zu erfüllen, dann gibt es Hoffnung.

Im Islam ist Gott der einzige Souverän und die höchste Quelle legitimen Rechts. In einer liberalen Demokratie ist das Volk der Souverän und die Quelle des Rechts. Wie kann Volkssouveränität Gottes Souveränität ausdrücken?

Im Reich Gottes ist Gott souverän, auf der Erde aber ist jeder von uns Gottes Vertreter. Darum liegt auf der Erde die Souveränität beim Volk. Auf der Erde können wir allein durch unsere Gesetze versuchen, die Herausforderungen zu meistern, vor die Gottes Buch uns stellt: Unsere Gesetze sind also menschlich. Wenn man wie die Fundamentalisten über Gottes Souveränität denkt, schafft das Gesetz viel Ungerechtigkeit und Leiden. In dieser Logik kann man Gott für sämtliche Ungerechtigkeiten verantwortlich machen, weil man meint, dass es seine Gesetze seien.

In der islamischen Theologie kann Gott aber doch nicht verantwortlich gemacht werden.

Das stimmt. Wir können das nur vermeiden, indem wir zugeben, dass unsere Gesetze nicht Gottes Gesetze, sondern menschliche Gesetze sind. Wenn ein Gesetz scheitert, müssen wir die Verantwortung dafür übernehmen, nicht Gott. Gott ist ein Ratgeber.

Wozu braucht es Kleriker im Islam, wenn Gott ein Ratgeber ist?

Die Kleriker und Juristen sind nichts anderes als moralische Lehrer der Gesellschaft. Sie lehren und predigen. Eine Fatwa zum Beispiel ist nie bindend. Der Islam erlaubt dem Juristen nur, Rat zu erteilen. In der islamischen Geschichte haben die Kleriker nie direkt geherrscht.

Wie konnten die autokratischen Regime im Nahen Osten entstehen, die alle fast ein Monopol an religiöser Autorität innehaben?

Das geht auf ein verändertes Verhältnis zwischen Staat und Religion zurück. Während des Kolonialismus wurde das islamische Recht durch kodiertes Recht, das der Staat kontrolliert und schafft, ersetzt. Bis dahin zählten nur die Meinungen der Juristen als islamisches Recht und als Teil der Scharia. Das, was der Staat einführte, zählte in der islamischen Rechtstradition nicht als göttliches, sondern als staatliches Gesetz. Indem die meisten Kolonialländer den französischen Code annahmen, konnte der Staat die Jurisprudenz kontrollieren und sich auf einen Code beschränken. Das war ein Fehler, weil es das islamische Recht seines Reichtums beraubte.

Was bedeutete das für die religiösen Universitäten?

Hier ging der Einschnitt tiefer. Die Religion wurde nicht mehr durch die islamischen religiösen Institutionen und Seminare, die bisher privat gefördert worden waren, kontrolliert. Der Staat nationalisierte und überwachte sie. Islamisches Recht hatte plötzlich auf jede Frage eine Schwarz-Weiß-Antwort parat.

Ist es korrekt, in der Vergangenheit von einer Teilung zwischen Staat und Moschee zu sprechen?

Ja, de facto gab es eine Trennung zwischen Staat und Moschee, wobei es allerdings im Islam keine Institution wie die Kirche im Christentum gibt. Man sollte eher sagen, es existierte eine Trennung zwischen dem Staat und den religiösen Gesetzen.

Und das wollen Sie in moderner Version wieder einführen?

Ich möchte, dass Muslime sich an ihr historisches Erbe erinnern und verstehen, dass das, was in Saudi-Arabien geschieht, wo zum Beispiel die Meinungen von drei Juristen als Gottes Gesetz gelten, der islamischen Tradition widerspricht.

Welche demokratischen Elemente sind im Islam vorhanden?

Der Koran fordert, dass wir alle Angelegenheiten im Leben durch Beratung regeln. Eine Meinung darf anderen nicht auferlegt werden, ohne alle anderen Meinungen zu berücksichtigen. Der Koran verurteilt auch Unterdrückung. Die religiöse Unterwerfung unter Gott ist ja nicht mit dem Zwang gleichzusetzen, sich anderen Menschen zu unterwerfen. Im Despotismus ist der Mensch aber gezwungen, das zu tun. Der Koran verbietet zudem eine religiöse Institution, weil keine Institution definieren kann, was Gott wirklich will. Die Religion ist jedem Individuum gegeben.

Was sagt der Koran über Frauen?

Der Koran sagt, dass die Menschen das Gute genießen und das Böse vermeiden sollen und dass Männer wie Frauen das Gute zwischen ihnen genießen und das Böse untereinander vermeiden sollen. Was Gut und Böse ist, darüber muss debattiert werden. Zudem sind Männer und Frauen vor Gott gleich und in gleichem Maße verantwortlich. Wenn Frauen nicht die gleichen Rechte wie Männer haben, dann erklärt der Koran, warum das so ist; zudem fordert der Koran die Frauen heraus, all ihre Rechte zu beanspruchen. Leider haben viele muslimische Länder diese moralische Botschaft des Korans vergessen.

Warum stellt Demokratie in Ihren Augen die beste Möglichkeit dar, islamische Werte zu verwirklichen?

Gott im Koran spricht vom Despotismus als einer Missachtung des Göttlichen. Meine Aufgabe als Muslim ist es darum, Despotismus zu verhindern - die Demokratie bietet die beste Möglichkeit dafür.

Wem gegenüber wäre ein islamischer Staat verantwortlich? Dem Volk oder Gott?

Gott gegenüber am Letzten Tag, dem Volk gegenüber auf Erden. Auf der Erde sind die Menschen voreinander verantwortlich. Wenn sie sterben und der Letzte Tag kommt, müssen sie sich vor Gott für ihre Handlungen verantworten.

Ist eine Demokratie, in der die Scharia Geltung hat, nicht ein Widerspruch in sich?

Thomas von Aquin ist stark von der islamischen Theologie beeinflusst: Er spricht von Gottes Gesetzen als ewigem Gesetz, das fehlerfrei ist, und von menschlichem Gesetz, das fehlerhaft und zeitweilig ist. Gottes Gesetz existiert nur in Gottes Geist. Menschliches Gesetz ist der Versuch zu wissen, was Gott denkt - aber wir können es nie wirklich wissen. Wenn Menschen die Scharia verwirklichen und andere Menschen steinigen oder ihnen die Hände abschlagen und glauben, sie führen Gottes Willen durch, dann gibt es keine Hoffnung für die Demokratie. Aber wenn sie erkennen, dass sich die Anforderungen für Gerechtigkeit von Epoche zu Epoche unterscheiden und staatliche Gesetze menschlich und nicht göttlich sind, dann besteht Hoffnung.

Interview: Monika Jung-Mounib
 

 
 
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